Freitag, 7. Oktober 2011

Soziale Aufstiegschancen durch Bildung

Ob du aufsteigst, hängt davon ab ob über oder unter Dir mehr Druck herrscht.

Heute hatte ich auf Twitter eine Diskussion infolge eines provokanten Tweets meinerseits.
Mein Tweet im Wortlaut war:

Wenn Arbeiterkinder kein Abitur machen liegt das oft weniger an starren Strukturen als an der Einstellung zum lernen die Eltern ihnen gaben.

(Mit Rechtschreibfehler übrigens ^^)

Als Klappentext hätte sich das wunderbar für ein als Pseudo-Sachbuch vom Stile Sarrazins geeignet, schön "plakativ" (Zitat @frl_fernweh), vereinfachend und durchaus BILD-tauglich ("LERNFAULE KINDER VERSAUEN UNSEREN PISA-SCHNITT!!1 ELTERN PEITSCHEN ZU WENIG").

Ich bekam einiges an Gegenwind, und um das noch einmal zu vertiefen und auszuführen, habe ich ja dieses Blog :-)



Die Debatte um die mangelnde soziale Durchlässigkeit in habe ich schon in der Schule nicht gemocht, weil mir die Argumente so einseitig und subjektiv vorkamen. Das mag ein allgemeines Problem der Soziologie sein, weil es ja "eher um Tendenzen und Phänomene geht, die man weniger mit Zahlen erfassen kann" (Zitat mein Politik-Lehrer), trotzdem fand ich es einfach nicht einleuchtend, dass allein der berufliche Status der Eltern (hier äquivalent mit z.B. "Arbeiterkind") als Hauptargument dafür ins Feld geführt wurde, ob ein Kind nun eher akademische oder handfeste Ausbildungs- und Berufswege beschreitet - wenn der Spross in der 7. Klasse lieber blau als blingblingpink trägt, ist diese geschmacklich gefestigte Entscheidung sicherlich höchstens teilweise den Eltern zuzuschreiben.
Was mir dabei fehlte, war der folgende Faktor: Die Einstellung zum Lernen, oder auch der Leistungswille.

Dieser Faktor setzt sich zum einen aus dem Status zusammen, den leistungsstarke Schüler beim Rest der Klasse haben ("Streber" / "Schleimer" vs. "hat echt was in der Birne" / "voll schlau"). Schulklassen sind die stärksten Pressure Groups, die ich bisher erlebt habe, und außerdem unheimlich anfällig für Mobbing. (Ich gehe grundsätzlich davon aus dass die meisten Schüler gerne einen halbwegs positiven Status führen.) Bei mir war es aber so, dass der Status innerhalb der Klasse eher von der Schlagfertigkeit und dem Willen dabei zu sein, mitzumachen (z.B. bei Parties) bestimmt wurde als davon, wie die Noten denn so aussehen und wie oft man sich meldet. Das ist aber auch meine Eigenerfahrung und mag in anderen Klassen (schon auf meiner eigenen Schule) ganz anders gelaufen sein.
Zum Anderen, und das war der Punkt den ich mit meinem Tweet ansprechen wollte, WOLLEN viele der Realschüler die ich kenne gar kein Abitur machen (oder gar studieren), denn sie haben schlicht und ergreifend keinen Bock weitere Jahre mit Lernen zu verbringen, sie wollen etwas tun. Also, in echt und so. Die meisten von ihnen haben mittlerweile Ausbildungen gemacht und arbeiten. Von dem was man hört ist die Zufriedenheit auch recht hoch.

Die Frage ist nun, ob sie nicht wollten, weil sie nicht wollen sollen ("Gehirnwäsche durch die Umgebung"), oder weil sie nun mal eher praktisch veranlagt sind, oder weil ihre Eltern ihnen mit der Muttermilch schon die Überlegenheit des kleineren Bildungswegs mitgegeben haben. Weitere Gründe existieren sicher, z.B. zu hohe Kosten von Fahrkarten, Büchern etc. Wenn man genau ist, sind finanzielle Aspekte - gerade wenn es ums Studieren geht - sogar der Hauptknackpunkt an dem Problem der mangelhaften sozialen Aufstiegschancen in Deutschland. Korrekterweise geht es bei finanziellen Hindernissen aber nicht um soziale, sonder um wirtschaftliche Hürden, die nicht unter Halbglatzen, sondern unter dem Deckel von Papas und Mamas Lohnabrechnungen sitzen (die aber wiederum sicherlich von Halbglatzen erstellt wurden :P).

Auf diese Frage habe ich keine Antwort, und vermutlich die Soziologie auch nicht. Dass diese Argumente und Fragestellungen aber meist ignoriert werden, hat mich unter anderem dazu gebracht den auslösenden Tweet zu verfassen. Denn wir können noch so viele Aufstiegsmöglichkeiten und noch so viele Stipendien schaffen (für die sich nicht genügend bewerben um alle zu vergeben - passiert meiner Uni jedes Jahr) - wenn der Wille (mehr und weiter) zu lernen, schulisch mehr zu leisten fehlt ist da nicht viel zu holen. Erforscht man die Gründe dieses Unwillens näher, so sollte man auch (zur Abwechslung mal) wirksame Strategien dagegen entwerfen können.

Eine Bemerkung am Rande noch: Es wird beim Beklagen mangelnder Aufstiegschancen gerne suggeriert, dass ja alle nach ganz oben in den Bildungsolymp wollten und volkswirtschaftlich auch müssten. Was ich gelernt habe (nicht in der Schule, wohlgemerkt), ist aber: Eine Gesellschaft von bzw. mit zu vielen Akademikern funktioniert nicht und provoziert Fachkräftemangel bei den Handwerkern und nur noch um so stärker isolierte Unterschichten. Großbritannien ist das beste Beispiel dafür, denn dort wurde eine Zeit lang sehr konsequent an der Vergrößerung der Weißkittelquoten gearbeitet. In diesem Land, in dem so manch ein Klempner mal besser bezahlt wurde als Professoren, haben wir heute eine sozial völlig isolierte Unterschicht (man denke an die London Riots diesen Sommer!), die ohne jedwede Art von Aufstiegschancen existiert. Menschen, die anpacken (Stichwort: Aktuelle Werbekampagne "Das Handwerk") sind der Grundpfeiler einer jeden Wirtschaft, oder platt gesagt: Wir können ja nicht auch noch unser Bier billig von unterernährten Kindern in Malaysia brauen lassen.
(Seht ihr? Beim Thema Bier klickt es plötzlich bei den ganzen Männern!)

In den Reaktionen auf diesen Tweet war zuerst einmal Unverständnis zu lesen, hauptsächlich wohl weil ich ihn so provokativ formuliert habe, dass man gut und gerne eine Leugnung der bestehenden Probleme mit der sozialen Durchlässigkeit daraus lesen konnte):

@Musicaloris Du träumst auch von nackerten Meerschweinchen? Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied oder was?
(Besonderen Dank übrigens für diese wunderschöne Wortwahl! Ich werde in Diskussionen zukünftig öfter mal von nackten Kleinnagern reden)

Das war aber nicht der Zweck der Sache, wie ich zum Glück bei den dreien (@nonanic, @toobin_zoo, @frl_fernweh) auch schnell klarstellen konnte. In der darauffolgenden Diskussion kam durch @nonanic noch ein weiterer, wichtiger Punkt zum Vorschein: Die Macht der Lehrer auf die schulische Laufbahn.

@Musicaloris @nonanic Was mich vor allem daran stört ist das einzelne Lehrer einem die komplette Schullaufbahn (und mehr) versauen können!


Was ich nämlich unbeachtet gelassen hatte, ist der Einfluss der Lehrer auf die Schullaufbahn. Ich habe in meinen Argumenten ja immer nur diffus vom "Umfeld" gesprochen und allenfalls Mitschüler und Eltern erwähnt, aber ein mindestens genauso wichtig sind die Lehrer. Auch ohne das leibhaftige Beispiel von @nonanic wird jedem klar sein, dass man - mit ein wenig Pech - sehr leicht die kritische Zahl an schlechten Lehrern überschreitet, die es braucht um einen zu demotivieren, einem die Lust auf die nächsten Jahre zu nehmen. Natürlich geht es nicht ohne Lehrer, aber mit guten Lehrern geht es viel besser!

@toobin_zoo Ich war wirklich keine Superschülerin, aber der letzte Tropfen, der mich zum Hinschmeißen bewogen hat war ein erzwungener

@toobin_zoo Besuch beim Direx nach Referat über Drogen, Weil es so ausführlich war, bestand der Verdacht, ich habe praktische Erfahrung



@toobin_zoo Somit war für mich klar: leckt mich doch am Arsch. Papiere her, ich hau´ jetzt ab.

Ein jeder möge nun in sich gehen und dann meiner steilen nun folgenden These zustimmen: (^_^)


Gerade mit @nonanic und @toobin_zoo herausgefunden, dass Lehrer eine Schwachstelle im Bildungssystem sind. Das ist paradox & traurig!

Worum es dabei geht ist schnell gesagt: Lehrer müssen benoten und Noten werden auf die Goldwaage gelegt. Dummerweise legen aber sehr viele Lehrer ihre Benotung nicht auf die Goldwaage oder habe sogar sadistische Züge bei der Bewertung von Leistungen, wie vermutet wird. Nun ist es sicher ziemlich unmöglich sagen wir 100 Schüler die man jeweils parallel benoten muss (zu den Zeugnissen) wirklich gerecht zu beurteilen, sodass man ihnen gerecht wird. Noch dazu sind Lehrer, gerade in den berufsrelevanten Jahren der zweiten Sekundarstufe, oft eher fachlich als didaktisch-pädagogisch ausgebildet (wenn überhaupt).
Darüber wiederum komme ich zu meiner steil formulierten These, dass Lehrer Schwachstellen sind (oder wenn man die twittertypische Verschlagwortung herausnimmt: dass Lehrer Schwachstellen sein können).

An diesem Punkt muss ich dem geschätzten Passanten erst einmal danken, dass er oder sie sich durch diese Wust aus Buchstaben und Bildern mit Buchstaben gekämpft hat. Ich hoffe, dass ich den ein oder anderen Gedanken anstoßen konnte, denn nicht zuletzt die direkten Reaktionen von Followern die sonst eher stumm bei mir mitlesen haben mir gezeigt dass dieses Thema einmal von jedem angedacht gehört.

PS: Die Möglichkeit diesen Blogeintrag zu schreiben erhielt ich durch 13 wechselhafte Jahre Schulausbildung.

Checkliste:
-Alle Beteiligten erwähnt
-Drei bis vier parallel geführte Reply-Threads so entworren, dass sie zu meiner Argumentation passen
-Alle Bilder korrekt zu den jew. Tweets verlinkt
-Eigene und fremde Gedanken verknüpft
-Vergessen was von wem kam
-Design vom Blog so ändern dass Bilder mit 640px Breite hineinpassen (Ich hasse automatische Layouts irgendwie doch)
-Text der Tweets in die Bildbeschreibung kopiert (für Blinde)
-Stilkorrektur gemacht
-Buchmetaphern vergessen


[UPDATE]
Neben zwei (nun korrigierten) Rechtschreibfehlern Grammatikfehlern wurde auch bemängelt, dass ich kein Fazit ziehe. (Ich habe übrigens aus Transparenzgründen die überflüssigen Wörter durchgestrichen, um die Korrekturen kenntlich zu machen).
Das hat mit dem Konzept dieses Blogs zu tun (siehe auch "Warum Klappen-Texte?"). Ich will die Gedanken des Lesers anlocken und beschäftigen. Meine Texte sollen nur Klappen-Texte für das Leben sein, sprich dazu verleiten das Beschriebene zu "lesen", sich also selbst damit zu beschäftigen.
Das heißt jetzt nicht, dass ich niemals ein Fazit ziehen werde und will, in diesem Fall aber - schon.
[/UPDATE]

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hast Du einen Account bei Google, Wordpress, LiveJournal, TypePad, AIM, so kannst Du dich damit unter "Profil auswählen..." identifizieren. Es geht aber auch nur ein Name mit oder ohne URL.
Alle Kommentare werden moderiert!