Samstag, 21. Januar 2012

Genres

...oder: Dinge, die sich sprachlicher Festnagelung entziehen


Das Wort "Genre" ist mir zum ersten mal auf Englisch begegnet, in einem Musiksortierprogramm. Schon mal versucht, es englisch auszusprechen? Dann klingt es wie eine Mischung aus generation und Regelungswut - was es letztlich ja eigentlich auch ist. Doch was verstand ich Zwölfjähriger im Präpubertätspickelzustand denn schon von solchen Dingen?
Dieses Wort sah ich beim Taggen von meiner frisch angelegten mp3-Sammlung (damals, 2002, war das noch etwas besonderes!), als mich beim Ausfüllen der Felder die Bezeichnung genre ansprang - deutschsprachige funktionierende Software gab es noch nicht, und wenn es sie heute gibt, dann hat man im Zuge der Eindeutschung großzügig einen Großbuchstaben an den Anfang gesetzt. Ein Glanzpunkt der Wortfindung, der Verein Deutsche Sprache e.V. wäre - wenn es sich nicht von selbst verbieten würde - echt happy. Wobei der ja gegen genres nichts sagen würde, denn schließlich ist dieses Wort...

  1. schon lange etabliert und
  2. der französischen Hochsprache entlehnt (zumindest der Aussprache nach, in Wirklichkeit ist es aus dem galloromanischen Okzitan) und damit eben
  3. NICHT aus der bösen killerimperialistischen Sprache der bösesten Zauberer des Okzidents, dem SOGENANNTEN "Englisch" entliehen.

Wer sich erinnert (ich bin ja zu jung für sowas): im gleichen Ton war früher auch von der "sogenannten DEE DEE ERR" die Rede...
Zurück zum Thema, weg von den Leuten, die "LCD" durch den sinnvollen Ausdruck "FKA" (Flüssigkristallanzeige) ersetzen wollen, weil diese böööööse Abkürzung in ihrem Index sicher so etwas wie die gelbe Gefahrenstufe zwei (von drei) inne hat. Das LCD ist tot, hoch lebe das äh... Dings... FKK!


Wirklich zurück zum eigentlichen Thema - ich sitze mit zwölf Jahren da und weiß nicht was ein Genre sein soll. "Ein Genre", so wurde mir von einem mit mir blutig verwandten Erdenbürger (Genre Vater) erklärt, "ist eine Einteilung oder Charakterisierung von Dingen in Gruppen und Untergruppen, damit man sie übersichtlich ordnen kann." Na super, denk ich mir, schlimm genug dass ich mir schon die ganzen - ENGLISCHEN - Namen von den Liedern und den Sängern merken muss die das singen, jetzt soll ich mir noch so ne Einteilung merken?!? "Das ist aber nicht immer so einfach", merkte erwähntes teilweise mit mir genomidentisches Individuum an, "das ist wie eine Familie. Da sind auch alle irgendwie ähnlich aber doch nicht so wirklich."
Heute hätte ich wohl in kindlicher Unschuld angemerkt, dass sich gewisse Menschen auf RTL aber ganz schön heftig hassen, dafür dass sie Familie sind. Damals sagte ich bloß: "Wie bei uns, da haben doch alle außer Mama und mir Brillen!" (Nebenbei: mittlerweile habe auch ich eine, und meine Mutter hat diesbezüglich das Alter eingeholt.)

Was also ist ein Genre? Ich finde, ein Genre ist viel weniger als eine Familie. Bezeichne ich ein Genre, so muss ich in mein Schubladensystem - nichts anderes ist es ja - ganz IKEA-like Geheimfächer und zusätzlichen Stauraum einbauen, sowie - ebenfalls im Sinne des schwedischen Lifestylediscounters - direkt den Fehler ins System. Es gibt keine Genreliste, die ohne "Andere", "Sonstiges" oder gar (was sehr beliebt im ist im Musikbereich) "Alternativ" oder "Indie" auskommt. Lassen wir es einmal auf ein Gedankenexperiment ankommen:


Wir stellen uns einen Schrank vor, in den die Welt hineinpassen soll. Wir haben bis auf drei Fächer schon alles belegt, aber noch zehntausend Dinge übrig:
Schuhe, Chucks (sind ja keine Schuhe), Handy, iPhone (ist ja kein Handy), Stulpen, mp3-Player, iPod (ist ja kein mp3-Player), Laptop, MacBook (ist ja kein Laptop), Tablet-PC, iPad (ist ja kein Tablet, und erst recht kein PC), et cetera (ist ja kein Wort), et cetera (ist ja eine Wiederholung).... Um dies in unsere drei Kategorien einzuordnen, hätten wir mehrere Möglichkeiten:

1. Wir wählen weit gefasste Gruppen, so z.B. (wie gestelzt und gezwungen akkurat diese Begriffe klingen, wird dem geneigten Leser hoffentlich auffallen):
    - Kleidung
    - Elektronik
    - Schlau klingende Fremdwörter
2. Wir geben auf und verziehen uns schluchzend in eine (sprachlich gesehen) passiv-rezeptive Ecke unseres jeweilligen Bewusstseins.
3. Wir rebellieren gegen diese doofe Aufgabe, indem wir auf diese Sisyphusarbeit verzichten und uns in dem neuen Dings-Laden da vorn ein paar dieser leckeren Teile holen.


Um ehrlich zu sein, bevorzuge ich die letzte Möglichkeit.








Checkliste:
-Verein Deutsche Sprache e.V. gebasht
-Nostalgie geweckt
-Kindheitsgeschichten zum Besten gegeben
-Mit dem Alter kokettieren
-Trash-TV gebasht (ein Reim! Also, fast...)
-Konsumgesellschaft gebasht
-Mich mit letzterer identifiziert
-Dem @westsideblogger für den publizistischen Tritt in den Arsch gedankt - Fuck! 

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